Tagung der AG Sprache in der Politik e.V. und der Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung (AlGf)
»Ost-West-Konflikte. Interdisziplinäre Perspektiven auf den Diskurs über Deutschland und die Welt«
21.-23. März 2023
Magdeburg
„Wie ticken die Ostdeutschen in Sachen Russland? Warum gibt es hier häufig eine größere Nähe gegenüber Russland? Und was sagt das über Gräben aus, die in der deutschen Bevölkerung auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch existieren?“[1]; „Haben wir besonders im Osten nicht genug mit einer zerklüfteten Landschaft zu kämpfen nach Pegida, Flüchtlingshassern, querdenkenden Totalverweigerern und Impfkriegern?“[2] – Aussagen wie diese setzen, aktuell besonders in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, die Differenz zwischen Ost- und Westdeutschen lange nach der Wiedervereinigung als gegeben voraus und zeigen, wie hartnäckig sich diskursive Muster wie die der topischen Treppe[3] (Roth 2008) halten: ‚Der Osten‘ wird homogenisierend charakterisiert als Abweichung, als etwas Defizitäres und Belastendes. So werden auf der (stillschweigend vorausgesetzten) Grundlage, dass es noch immer eine (deutliche) Differenz zwischen Ost und West gibt, im massenmedialen Diskurs bestimmte gesellschaftliche Phänomene – wie etwa Rechtspopulismus (z.B. im Kontext mit der AfD), Flüchtlingshass, die Querdenker-Bewegung (die mit Querdenken 0711 in Stuttgart und in sehr typisch westdeutschen Milieus ihren Ausgangspunkt nahm) und „Putin-Versteherei“ – nicht als bundesdeutsche, sondern primär als ostdeutsche Probleme wahrgenommen und diskutiert.
Obwohl Beispiele wie die genannten nur die Spitze des Eisberges bilden und das Thema also medial und politisch allgegenwärtig ist, ist es in der germanistischen Politikspracheforschung seit einiger Zeit zu einer Ost-West-Blindheit gekommen: Die sprachlichen Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland waren in den Zeiten der staatlichen Teilung seit 1949 einer der bedeutendsten Gegenstände, die durch die Ereignisse der Jahre 1989/90 für einen zweiten Forschungshöhepunkt sorgten. Danach verschwand das Thema weitgehend von der Agenda des Fachs und die 2006 von der AG „Sprache in der Politik“ ausgerichtete Tagung zu den „Diskursmauern“ (vgl. Roth/Wienen 2008) kann als die letzte größere sprachwissenschaftliche Bestandsaufnahme zum Thema gelten.
Die interdisziplinäre Tagung tritt diesem Forschungsdefizit entgegen. Sie versteht den Ost-West-Diskurs dabei als Querschnittsdiskurs, der auch dort grundsätzlich präsent ist, wo es vordergründig um andere Themen geht (z.B. um die Folgen von Corona oder den in Ost- und Westdeutschland offenbar als unterschiedlich dringlich empfundenen Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel).
Sie richtet sich primär an die Fach-Communities der beteiligten Fächer, sprich: Germanistik, (theologische) Soziologie, Politik-, Sozial-, Medien- und Kommunikationswissenschaft, ist aber nach Anmeldung nicht nur für Studierende und Universitätsangehörige, sondern ausdrücklich auch für die Öffentlichkeit zugänglich.
[1] https://www.ardmediathek.de/video/dokus-im-ersten/russland-putin-und-wir-ostdeutsche/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzZhY2YyNjMxLTNkNzAtNDk0MS1iZjAzLWY5NDQ3ZTA2ODg0ZQ (zuletzt abgerufen am 08.12.2022)
[2] https://taz.de/Putin-Fans-in-Ostdeutschland/!5836638/, 10.03.2022 (zuletzt abgerufen am 08.12.2022).
[3] Roth, Kersten Sven (2008): Der Westen als ‚Normal Null‘. Zur Diskurssemantik von ‚ostdeutsch*‘ und ‚westdeutsch*‘. In: Roth, Kersten Sven/Wienen, Markus (Hrsg.): Diskursmauern. Aktuelle Aspekte der sprachlichen Verhältnisse zwischen Ost und West. Bremen, S. 69–89.
Anmeldung
Wer an der Tagung teilnehmen möchte, meldet sich bitte ab jetzt bis spätestens 28.02.2023 unter https://algf.ovgu.de/tagung.html an.
Tagungsprogramm
Programmflyer zum Download (PDF)
Dienstag, 21.03.2023 | |
16.00 Uhr | Jens Strackeljan (Rektor der UvGU): Grußwort |
16.15 Uhr | Steffen Pappert & Kersten Sven Roth: Eröffnung der Tagung |
Sozialwissenschaftliche Perspektiven | |
16.30 Uhr | Gert & Susanne Pickel: Befindlichkeiten, ökonomische Struktur oder Identität? Politische Kultur(en) in West- und Ostdeutschland |
17.15 Uhr | Thomas Ahbe: Die identitätsstiftenden Narrative der alten Bundesrepublik als Muster für die mediale Konstruktion Ostdeutschlands und der Ostdeutschen |
18.00 Uhr | Kaffeepause |
18.15 Uhr | Raj Kollmorgen: Die Gesellschaft des Ost-West-Diskurses. Soziologische Befunde und Reflexionen |
19.00-19.45 Uhr | Judith C. Enders: Transformation in (Ost-)Deutschland – die emotionale Perspektive ernst nehmen |
20.00 Uhr | Mitgliederversammlung der AG „Sprache in der Politik“ |
Mittwoch, 22.03.2023 | |
Linguistische Perspektiven auf ost- (und west-)deutsche Identität | |
9.00 Uhr | Charlotta Seiler Brylla: „Auch-Deutsche“? Wie Ostdeutsche und (West)Deutsche im heutigen öffentlichen Diskurs konstruiert werden |
9.45 Uhr | Gerd Antos: Illusionen Ost-West. Selbstermächtigungs-Diskurse als Sinnbild unterschiedlicher Identitäten |
10.30 Uhr | Michael Drommler: Ostdeutschland framesemantisch betrachtet |
11.15 Uhr | Kaffeepause |
11.45 Uhr | Bettina M. Bock: Wo ist ‚drüben‘? Lokaldeiktische Überlegungen zum Ost/West-Diskurs |
12.30 Uhr | Paula Kuhn & Maximilian Krug: Die DDR als Gruppenkategorie in medialen Telegram- und Leserbriefdiskursen der BRD |
13.15 Uhr | Mittagspause |
Europäische und historische Perspektiven | |
14.30 Uhr | Olga Galanova: Ost-West Konflikte in Anrufen von BürgerInnen bei der Stasi |
15.15 Uhr | Janett Haid: Gruppenkonstruktionen und diskursive Hierarchisierungen von „Staat“ und „Gesellschaft“ in den Reden E. Honeckers |
16.00 Uhr | Kaffeepause |
16.45 Uhr | Aneta Buckova: „Der Osten“ und „der Westen“ in biographischen Erzählungen deutsch-tschechischer Bilingualer |
Ost-West-Konfrontation und Ukraine-Krieg | |
17.30-18.15 Uhr | Angela Nadia Centorbi: Ingo Schulzes sprachkritische Überlegungen zu Fahnen- und Stigmawörtern im öffentlichen Diskurs zur Ost-West-Konfrontation |
Donnerstag, 23.03.2023 | |
9.00 Uhr | Josef Klein: Ost-West-Kriegsrhetorik. Maßgebliche Reden zum Ukrainekrieg und ihre Diskursrelevanz |
9.45 Uhr | Anne-Laure Daux-Combaudon: Zur diskursiven Konstruktion der Kategorie „Ostdeutsche“ in Zeitschriftenartikeln zu Umfragen über die Bewertung des Ukraine-Kriegs |
10.30 Uhr | Kaffeepause |
11.00 Uhr | Dorothee Meer: Von „russischem Gas“ und „alternativen Brückentechnologien“ – Zur Rolle des Ukrainekriegs im Nachhaltigkeitsdiskurs der Bundesrepublik |
11.45-12.15 Uhr | Kersten Sven Roth: Zum Abschluss: Warum und worüber wir noch immer reden – Thesen |